/Spitzentanz: Ein Grand Jeté fürs Ballett

Spitzentanz: Ein Grand Jeté fürs Ballett

In Disneys neuem Kinofilm Der Nussknacker und die vier Reiche tanzt Misty Copeland in einem weißen Tüllkleid zu Tschaikowskys berühmten Ballettmusiken, dem Blumenwalzer oder dem Schneeflocken-Walzer. Feengleich führt sie in der fünfminütigen Szene die anderen Charaktere in die Handlung ein. Misty Copeland ist eine schwarze Ballerina.

Vor drei Jahren schrieb sie Geschichte als erste schwarze Frau, die jemals zur Primaballerina des American Ballet Theatre befördert wurde. In einem Interview zur Weltpremiere des Nussknacker-Films hob sie hervor, welch große Symbolkraft darin steckt: “Kleine Kinder schauen sich das an und sagen dann: ‘Oh, so sieht eine Ballerina aus.'”

Das war nicht immer so. Denn die strenge Perfektion im Ballett ist gleichbedeutend mit Homogenität. Noch immer hält sich das Argument, dass nicht weiße Tänzer, besonders mit dunkleren Hauttönen, die Gleichmäßigkeit einer Performance ruinierten. Es spielt keine Rolle, ob jede Bewegung synchron ist – ihre Hautfarbe zerstöre das Gesamtbild. Tief liegende Stereotype tun ihr Übriges. Viele schwarze Tänzerinnen weisen darauf hin, dass schwarze Frauen gemeinhin als kraftvoll, rund und erdverhaftet wahrgenommen werden. Mit der europäischen Vorstellung von einer ätherischen Waldfee oder einem graziösen Schwan ist das nur schwer zu vereinbaren.

Im Jahr 2007 fragte die New York Times in einem viel beachteten Artikel: Wo sind all die schwarzen Schwäne? Acht Jahre später tanzte Misty Copeland ihr New Yorker Debüt als Odette/Odile in Tschaikowskys Schwanensee, der vielleicht anspruchsvollsten Rolle im klassischen Ballett. Ein großer Schritt für die Kalifornierin und ein Grand Jeté für das Ballett. Unter den Tutu-Mädchen in Schwanensee an der Deutschen Oper Berlin tanzt jetzt zum ersten Mal ein schwarzer Schwan mit, die Französin Chloé Lopes Gomes.

Heute schmücken sich Compagnien mit Künstlerinnen wie Misty Copeland, und das American Ballet Theatre gründete 2013 das Projekt Plié, eine Initiative zur “Diversifizierung der amerikanischen Ballettunternehmen”. Dennoch ist eine schwarze Ballerina immer noch eher eine Seltenheit im klassischen Ballett, einer Kunstform, die ihre Ursprünge in der italienischen Hofkultur der Renaissance hat und sich dann unter Ludwig XIV. im 17. Jahrhundert am französischen Hof verfeinerte.

Misty Copeland in Disneys aktuellem Weihnachtsfilm "Der Nussknacker"

Misty Copeland in Disneys aktuellem Weihnachtsfilm “Der Nussknacker”
© 2018 Disney Enterprises

Im Lauf des 20. Jahrhunderts hat es einige Pionierinnen gegeben, die versuchten, die roséfarbene Monochromatik des Corps de Ballet aufzubrechen. Als die 1917 in New Orleans geborene Janet Collins 15 Jahre alt war,
sprach sie für das Ballets Russes de Monte Carlo vor, das zu Beginn des
Zweiten Weltkrieges in den USA tourte. Der damalige Direktor sagte zu
ihr, dass sie nur in die Compagnie eintreten könne, wenn sie ihr Gesicht
und ihren Körper heller mache. Collins lehnte den Job ab, ging
jedoch 1951 in die Annalen des Tanzes ein, als erste schwarze Ballerina der Metropolitan
Opera in New York City.

Schwarzer Mann und weiße Frau – eine Revolution

Im Jahr 1955 trat Raven Wilkinson als erste schwarze Ballerina dem Ballets Russes de Monte Carlo
bei. Als das Ensemble durch den rassisch getrennten Süden tourte, wurde sie von Direktoren ermutigt, weißes Make-up zu tragen oder
sich als Spanierin auszugeben. Die Tournee wurde
mehrere Male von Mitgliedern des Ku-Klux-Klan unterbrochen. Schließlich
verließ Wilkinson die Truppe und ging zum niederländischen Nationalballett,
dem heute die in Sierra Leone geborene amerikanische Tänzerin Michaela DePrince angehört. Sie war die einzige Ballerina afrikanischer
Abstammung, als sie dem Ballett 2014 beitrat.

Dass es über die Jahrzehnte mehr schwarze Männer im Tanz gab, liegt möglicherweise auch an klassischen Geschlechterstereotypen, die das Ballett beherrschen. Der berühmteste in den USA war lange Zeit der im September verstorbene Arthur Mitchell. Er war Haupttänzer des weltberühmten New York City Ballet, bevor er 1969 mit Karel Shook das Dance Theatre of Harlem gründete, um schwarzen Jugendlichen bessere Chancen zu ermöglichen. Als Arthur Mitchell in den Fünfziger- und Sechzigerjahren tanzte, war es aber auch für ihn nicht einfach. George Balanchine, Choreograf und Mitbegründer des New York City Ballet, sah in ihm seine Muse, also schrieb er Mitchell seine Rollen auf den Leib. Er choreografierte zum Beispiel den legendären Pas de deux in Agon im Jahr 1957 zwischen Mitchell und der weißen Ballerina Diana Adams. Ein schwarzer Mann und eine weiße Frau tanzen miteinander – das war eine starke Aussage und machte Agon in Zeiten der Bürgerrechtsbewegung revolutionär.

Die Zeiten haben sich geändert und damit auch das Selbstverständnis der Tänzerinnen und Tänzer. Olivia Boisson, eine Schülerin von Arthur Mitchell, die heute am New York City Ballet beschäftigt ist, sagt im Gespräch mit ZEIT ONLINE: “Ich weiß, dass ich eine der wenigen schwarzen Ballerinen bin, die es gibt, aber es hat mich nicht sehr beeinflusst. Für mich ging es nur darum, in die Compagnie meiner Träume zu kommen.”

Hits: 46